Das Hochwasser 1888 im Engadin

Im September 1888 verheerten Hochwasser und Murgänge das Oberengadin und das Puschlav.

Gion Caviezel schreibt in seiner Lizenziatsarbeit über die Auswirkungen des Hochwassers:

Aufgrund der enormen Schneemenge im Winter, der zahlreichen Lawinenniedergängen im Frühling und der tagelangen Regenfälle im Juni und August führten die Flüsse und Bäche des Oberengadins den ganzen Sommer kontinuierlich viel Wasser, so dass die Böden kein Wasser mehr aufnehmen konnten.

Am 7. September 1888 setzte nach starken Regenfällen, die durch den bis ins Tal erfolgten Schneefall unterbrochen worden waren, erneut Regen ein.

Infolge der wieder einsetzenden Regenfälle und der durch den aufkommenden Föhn herrschenden hohen Temperaturen schmolz sowohl der bis zu einem halben Fuss hohe Schnee im Tal als auch der noch in den Bergen liegende Schnee des vorherigen Winters.

Die Gewässer schwollen in der Folge noch mehr an, bis sie dann ab dem 9. September an verschiedenen Stellen über die Ufer traten.

Durch das Hochwasser entstanden im Oberengadin vor allem in Silvaplana, St. Moritz-Bad und in allen Gemeinden bis Zuoz grosse Schäden.

Zu den grossen Schäden an Feld, Wald und Weiden trug auch der Niedergang unzähliger kleiner und grösserer Rüfen im Haupttal und in den Seitentälern des Oberengadins bei.

Direkt von Rüfen betroffen waren die Dörfer Pontresina und Zuoz, ohne dass dabei aber grössere Schäden entstanden wären.

In St. Moritz-Bad traten wiederum Inn und St. Moritzer See über die Ufer. Der See dehnte sich in der Folge über den Kurhausplatz aus und gelangte bis an die alte Badstrasse, so dass das Casino, die neue katholische Kirche und die Pension Heimath tief im Wasser standen. Die Verwüstungen in der Gegend des Bades waren gemäss Zeitungsberichten relativ schwer wiegend. Wasser war in verschiedenen Hotels eingedrungen.

Der Wasserstand des St. Moritzer Sees war am 11. September um 35 cm höher als beim Hochwasser von 1868.

In Massaua wurden zwei Brücken fortgeschwemmt und in Celerina die unteren Häuser des Dorfes unterspült.

Von den Wassermassen des Flazbaches gespiesen durchbrach der Inn trotz der unter dem Kommando des Baumeisters Ragaz erfolgten Gegenwehr die neue Korrektionslinie von Samedan an verschiedenen Orten.

Die Wassermassen ergossen sich links und rechts auf die Wiesen bis zum Garten des Hotel Bernina in Richtung Bever.

Auch in der Gemeinde Bever erfolgten mehrere Dammbrüche, so dass die Strecke zwischen Bever und La Punt einem See glich.

Trotz wasserbaulichen Massennahmen traten einige als gezähmt erachtete Wildbäche über die Ufer.

In Chamues-ch trat beispielsweise die Chamuera trotz Wuhren und einem neuen Kanal über die Ufer und bedrohte während zwei Tagen alle Häuser von La Punt am rechten Innufer.

Die gesamte Talsohle von Celerina bis S-chanf bildete einen langen See, der zwischen Bever und La Punt eine Breite von etwa einer halben Wegstunde erreichte.

Beim Hochwasser starb ausserdem der 14-jährige Sohn des Schuhmachers Lareida.

Weil der Regen am 12. September aufhörte, blieb das Oberengadin von einer noch grösseren Katastrophe verschont.

Im Puschlav regnete es während vier Tagen ohne Ende. Die Wildbäche führten dem Poschiavino viel Wasser zu, so dass er von Angeli Custodi bis Campocologno über die Ufer trat. Zudem gingen kleinere Rüfen nieder.

In S. Carlo schwemmte der Poschiavino Boden und zwei Brücken weg. Die Squadra di Basso war fast vollkommen überschwemmt. Dabei wurde ein Stück der Hauptstrasse zerstört.

Bei Brusio riss der Poschiavino die steinerne Brücke nach Zalende weg, für die der Kanton 26’000 Fr. beigesteuert hatte, und schwemmte 100 m Strasse fort.

Insgesamt stürzten in der Gemeinde Brusio sieben Brücken bzw. Stege ein. Darunter auch die über hundert Jahre alte steinerne Brücke an der Grenze zum Veltlin. Ferner wurde auch die Tabakfabrik Zanolari ein Opfer des Hochwassers, indem sie weggespült wurde.

Im Bergell entstanden keine grösseren Schäden.
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Quelle Gion Caviezel: Hochwasser und ihre Bewältigung
anhand des Beispiels Oberengadin 1750 – 1900.
Lizenziatsarbeit, Bern, 2007
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In der Naturchronik der Naturforschenden Gesellschaft Graubündens ist zu lesen:

“Sehr bedenklich gestaltete sich nach anhaltenden Regengüssen von 10 —12 Sept. der Hochwasserstand unserer Flüsse.

Der Rhein erreichte nicht ganz die Höhe von 1868 (28,5’, 1834 : 30’) mit nur 25,5’, aber immerhin wurden namentlich ob llanz viele Brücken weggeschwemmt und die Strassen geschädigt.

Ganz enorm war jedoch die Verheerung von unserer Grenze weg im Rheinthal, sowohl linkerseits auf Gebiet des Kantons St. Gallen, als namentlich rechterseits im Lichtensteinischen und Voralbergischen, wo die Ueberschwemmung eine geradezu entsetzliche war.

Die Albula schwemmte 5 Brücken weg und verheerte die Grundstücke bei Bellaluna, sowie einen Theil der Strasse, die seither auf das rechte Ufer verlegt werden musste.

Besonders verheerend trat der Inn auf. Bei St. Moritz trat der See über und drang das Wasser in die unteren Stockwerke einzelner Hotels; grosse Wuhrbrüche bei Samaden und Bevers hatten eine seeartige Ueberschwemmung des Thales bis nach Ponte hin zur Folge.

In Pontresina brach eine seit Menschengedenken ruhig gebliebene Rüfe urplötzlich mit einer kolossalen Wassermasse am Schafberg herunter, wodurch grössere und kleinere Gebäulichkeiten momentan in dringendster Gefahr standen.

Nicht minder erlitt das Unterengadin, namentlich vom Tarasper-, Schulser- und Fetaner Gebiet abwärts, sehr empfindlichen Schaden: bis nach Martinsbruck herunter wurden zahlreiche Brücken zerstört, ein fast Kilometer langes Stück der Strasse ob dem Tarasper Kurhause fortgerissen, dieses selbst an Wuhren, Quellenleitungen u. s. w. empfindlich geschädigt.

Endlich erprobten auch der wilde Poschiavino und seine Tobelzuflüsse ihre zerstörende Wuth an Dämmen und Strassen, so namentlich im Thal von Brusio, wo manche schöne, durch jahrelangen Fleiss und harte Arbeit der schmalen Thalsohle abgerungene Bodenparzelle sammt Strassenstrecken und Brücken von der Fluth verschlungen wurden."
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Quelle Naturchronik 1888. Jahresbericht der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden. Band 33 (1888-1889)


Weiterführende Literatur


Flugi, Alphons v.: Beiträge zur Naturchronik und Klimatologie des Ober-Engadins 1850-1900. In: Bündnerisches Monatsblatt: Zeitschrift für bündnerische Geschichte, Landes- und Volkskunde, Band 1920, Heft 11

Le Innondazioni del Poschiavino. In: Il Grigione Italiano, 15. September 1888. Nr. 37

46.457 9.81452 red
46.4601 9.79238 red
46.4869 9.8359 red
46.5132 9.85624 red
46.5329 9.87081 red
46.4914 9.90484 red
46.5506 9.8922 red
46.5779 9.92774 red
46.6024 9.95889 red

Das Hochwasser 1888 in der Geschichte des Oberengadins.

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